Elf Jahre Journalismus in Wien
Etwas mehr als elf Jahre Journalismus in Wien liegen hinter mir. Beginnend mit dem Jahr 2000, wo ich bei der Firma webcontent das A1.net-Portal, so hieß das damals, redaktionell befüllt habe. Dann lernte ich durch die Figur Hermes Phettberg wienweb.at kennen, bewarb mich bei meinem heutigen Freund Thomas Holzinger und der gab mir eine Chance. Wochen später saß ich bei meinem ersten 60 Minuten Fernseh-Interview mit Erhard Busek, einer Aufzeichnung Gott sei Dank, beim „Talk ums Gänsehäufl“.
Interviews, zahllose Artikel und Reportagen (eine Nacht mit den Schneeschauflern in Wien, im Obdachlosenasyl Josi an der Josefstädterstraße) bei wienweb.at, heute w24, folgten. Ich hatte die Gelegenheit, Christoph Schlingensief, Grissemann&Stermann, Josef Cap, Christl Stürmer, Andrea Dusl, Gunkl und ein paar andere vor der Kamera zu interviewen. Irgendwann in dieser Zeit fing ich als Volonatär bei „Datum“ an, einem Monatsmagazin mit Qualität, und ich war in der glücklichsten Zeit meines Journalisten-Lebens. Junge, hungrige Menschen mit ähnlichen Vorstellungen von Journalismus wie ich, mit der tendenziösen Neigung zu langen alkoholsamen Nächten und Zigarettenqualm und dem Eroberungsdrang nach Qualität, Literatur, Musik und ein bisschen Frieden. Die Zeit dort währte kurz, weil mich der Ruf in den News-Verlag ereilte und ich ihm, noch immer hungrig nach mehr Journalismus, folgte. Und wieder lernte ich die unterschiedlichsten Typen kennen, Journalisten-Typen, und war im österreichischen Magazin-Journalismus angekommen. Ich war stolz auf mich und erst 30 Jahre jung.
Im Wirtschaftsmagazin „Format“, wo ich im Politik-Ressort arbeitete, erhärtete sich über die Jahre ein Verdacht, den ich zuvor nur leise gespürt hatte, ohne ihn benennen zu können. Etwas stimmt mit dem Kapitalismus nicht. Ich hatte, trotz Politikwissenschaftsstudium, nie meinen Marx und Engels gelesen, mir fehlte die Theorie. Doch dass etwas im globalisierten Wirtschaftssystem aus den Fugen geraten war, konnte ich hier im Wirtschaftsmagazin nicht nur spüren, sondern auch erstmals theoretisch beginnen darzulegen und zu beschreiben. Mein Denken radikalisierte sich. Ich begann der Überzeugung anzuhängen, dass ohne neue Parameter für Wachstum abseits der bis heutigen gültigen sich nichts an den globalen Problemen ändern könne. Weder an der Staatsverschuldung noch an den hyperventilierenden Finanzmärkten, weder an der sich immer weiter öffnenden Vermögensschere weltweit genauso wenig wie an der Erosion von gesellschaftlichen Strukturen durch Populisten. Oder dem Klimawandel.
Dieser Ansicht bin ich bis heute. Es braucht neue Indikatoren für Wachstum und solange die nicht eingeführt werden, wird sich an Waffen, Drogen, Korruption, Finanzmärkten, Rechtsextremismus, Klimawandel nicht allzu viel ändern. Der Mensch ist nicht für universelle Liebe gebaut, das weiß ich schon. Aber ich bin der Auffassung, dass er über Reichtum, Vermögen und Geldvermehrung alleine nicht mehr aus dem globalen Abwärtstaumel heraus finden wird. Ich kann mich aber auch irren und lasse mich gerne korrigieren, wenn ich falsch liegen sollte. Weil dass Kapital Gutes tut, sehe ich daran, in welchem Wohlstand ich mit warmer Wohnung, Lebensmittel, Internet und anderen Errungenschaften lebe. Auch der Sport ist ein schönes positives Beispiel für die Verbesserung durch Geld, obwohl Doping…egal.
Warum ich das alles schreibe? Erstens, weil es mein blog ist. Und zweitens, weil es mit der Ausgangsfrage vom ersten Politik-Teil zu tun hat: „Wozu Politik?“ Leute wie die kleine österreichische Partei „Der Wandel“, Noam Chomsky, Gregor Gysi, Bernie Sanders, Jeremy Corbyn in Großbritannien tragen diese Idee sicher irgendwo in ihrem Hinterkopf. Dass es bis dahin ein weiter Weg ist, dürfte jedem klar sein. Dieses vitale System kennt viele Möglichkeiten, sich neu auszutesten, zu forschen und neue Wege zu finden. Das macht es so einzigartig.
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